Geraldine Forbes zu >Ein Le(e.h.)rstuhl für Käthe Leichter< | Katalog
Erinnern an Käthe Leichter
von Geraldine Forbes
Tisch und Stuhl für Käthe Leichter und die Textilarbeit über ihre Kolleginnen sind ein Denkmal für eine bedeutende Frau, ein künstlerischer Beitrag zur Geschichte einer Frau und ein bewusster Versuch, das kollektive Gedächtnis zu verändern. Frauen wie Leichter, die daran arbeiteten, das Bewusstsein für das Leben von Frauen zu schaffen und ihre Lebensbedingungen zu verbessern, werden häufig von der Geschichte ausgeklammert. Die Schwierigkeiten, denen wir beim Wiedererfassen ihrer Geschichte begegnen, sind immens, aber die entscheidendste Schwierigkeit liegt an fehlenden Aufzeichnungen.
Käthe Leichter zu studieren ist besonders schwierig. Sie hat nicht bis ins hohe Alter überlebt und somit können sich Historiker weder auf eine Autobiografie berufen, noch auf Interviews, in denen sie über ihr Leben und ihre getroffenen Entscheidungen reflektiert, auch nicht auf Koffer voller Briefe und Erinnerungsstücke. Wir haben Belege über ihr frühes Leben und ihre Forschung, ihre Arbeit, das erste Referat für Frauenrechte in der Arbeiterkammer Wien aufzubauen und zu leiten, und über ihren tragischen Tod. Mittendorfer richtet ihre Aufmerksamkeit auf Leichters produktive Jahre in der Arbeiterkammer und ihre Bemühungen, das Leben der arbeitenden Frauen zu verbessern.
Obwohl sich diese Ausstellung auf Käthe Leichters Leben konzentriert, wirft sie weitreichendere Fragen über Geschichte und Erinnerung und über die Erzeugung des kollektiven Gedächtnisses auf. Geschichte - die schriftlichen Aufzeichnungen dessen was passiert ist, eher als das genaue Verzeichnis von Ereignissen - war immer schon selektiv. Kriege und Politik dominierten historische Narrative bis zum 19. Jahrhundert und erst im 20. Jahrhundert richteten Historiker ihre volle Aufmerksamkeit auf jene, die einst als wertloser Teil in der Geschichte einer Nation angesehen wurden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Arbeiter, Bauern, Frauen und sogar Kinder, auf welche Historiker ihre Aufmerksamkeit richteten, und sie argumentierten, dass eine Historie ohne deren Geschichten die halbe Wahrheit sei. Indem man jene miteinbezog, die üblicherweise aus der Geschichte ausgelassen wurden, veränderte sich das Narrativ und es kamen Anmaßungen ungeteilter Macht sowie Behauptungen wohlwollender Bevormundung zum Vorschein. Die Aufmerksamkeit auf Themen der Handlungsfähigkeit, auf Entscheidungen, die Menschen trafen und auf ihre Handlungsweisen, hat unsere Geschichte verändert.
Für Frauen war es bestärkend zu wissen, dass Frauen eine Geschichte des Denkens, Erschaffens und Tuns haben. Es ist diese Geschichte, die die Welt darüber informiert, dass Frauen große Dinge erreicht haben. Die neuen Fragen, die durch dieses Bewusstsein hervorgerufen wurden, treffen allerdings oft auf eisernes Schweigen aus den Archiven, wo Errungenschaften der Frauen geringgeschätzt wurden.
Letztendlich wird dem Leser dieser wiedererfassten Geschichten bewusst, dass Gender wichtig ist. Biologische und religiöse Ideologien legitimieren soziale Rollen und ungleiche Behandlung von Männern und Frauen, so wie sie auch Geringschätzung für die von Historikern nicht gewürdigte Arbeit der Frauen erzeugen.
Sogar mit einer Überfülle an Dokumenten und Aufzeichnungen wirft das Verfassen der Geschichte der Frauen schwierige Fragen auf. Wie und warum wird an Frauen erinnert? Werden diese Errungenschaften in Biografien und in der Geschichtsschreibung mit männlichen Kriterien beurteilt? Oder sollten diese Frauen dafür gewürdigt werden, weil sich ihr Handeln von dem der Mehrheit der Frauen unterscheidet? Wie kann Geschichte die volle Bandbreite von Frauenaktivitäten ermessen - als Ernährende, Erziehende und Hausfrauen – zusätzlich zu ihren Errungenschaften im öffentlichen Leben? Was können wir von Freundinnen und Unterstützern von Frauen lernen, wenn diese auch in der Geschichte verloren gegangen sind?
Das sind Fragen, die man über Käthe Leichter stellen möchte, aber in Leichters Fall werden diese durch ihren brutalen und schrecklichen Tod in den Hintergrund gedrängt. Niemand kann über diese bemerkenswerte Frau schreiben, ohne sich zu erinnern, dass ihre Arbeit und ihr Leben verkürzt wurden, nicht durch Krankheit oder einen Unfall, sondern durch vorsätzliches Kalkül eines faschistischen Regimes. Allerdings, als Leichter über das Leben der Frauen forschte, darüber schrieb und auf eine bessere Gesetzgebung drängte, konnten weder sie noch ihre Kameradinnen die Zukunft voraussehen. In Mittendorfers gegenwärtigem Projekt liegt der Schwerpunkt auf Leichters produktivster Lebensphase, als sie mit anderen Frauen daran arbeitete, eine bessere Welt zu erschaffen.
Gerda Lerner, die in Wien geborene „Großmutter der Frauengeschichte“, die in den USA lebt und der 1995 der Käthe Leichter-Staatspreis verliehen wurde, schrieb, dass Leichter gegen zwei Arten von Diskriminierung ankämpfte: die Diskriminierung der Arbeiterklasse und die Diskriminierung der Frauen. Es sollte auch hinzugefügt werden, dass sie einen täglichen Kampf gegen geschlechtsspezifisch blinde Kollegen führte. Leichters Untersuchungen ergaben für sie und all diejenigen, die diese verfolgten, dass viele Interventionen der Sozialdemokraten die Bedürfnisse der Frauen nicht ansprachen, insbesondere der großen Anzahl der Frauen, die die Brotverdienerinnen ihrer Familien waren. Indem sie über Frauen schrieb, die in Fabriken und auf Bauernhöfen arbeiteten, in ihren Heimen nähten und als Hausangestellte arbeiteten, brach Leichter eine Lanze für die Frauengeschichte. Diese Frauen existierten; sie arbeiteten, dachten, und trafen Entscheidungen.
Bezeichnenderweise hat Leichter nicht alleine gearbeitet. Freundinnen, Kolleginnen, Bekannte, andere Sozialdemokratinnen, und sogar Hausangestellte bildeten ein Netzwerk, aber der Umfang dieses Netzwerks und die Beziehungen zwischen den Frauen bleiben teilweise unbekannt. Die systematische Ausgrenzung der Frauen, insbesondere jener der unteren Gesellschaftsschicht der arbeitenden Frauen, bedeutet, dass wir sehr wenig über diese Frauen wissen, die Leichter auf Konferenzen traf, sich mit ihnen nach den Treffen unterhielt, und die zu ihren Büchern beitrugen. Die Textilarbeit, mit der die Namen von Leichters Netzwerk sinnbildlich in das Verzeichnis aufgenommen und aufgezählt werden, ist der erste Schritt in die Richtung, sie für die Geschichte wiederzugewinnen. Die Tatsache, dass sich so viele Frauen versammelten, um für Frauenrechte zu arbeiten, ist ein unübersehbares Erinnerungszeichen, dass Käthe Leichters Geschichte zur kollektiven Erinnerung der Nation hinzugefügt werden muss.
Übersetzung: Angelika Krawanja. Abweichungen vom Originaltext sind Anmerkungen von C.M.
Geraldine Forbes ist Distinguished Teaching Professor für Geschichte an der State University of New York Oswego. 2011 hielt Forbes als Käthe-Leichter-Gastprofessorin Vorlesungen über Frauen und Gender in Südasien am Institut für Südasien-, Tibet- und Buddhismuskunde an der Universität Wien.